Schmutziger Sieg der Krefelder gegen Aachen Walheim
7.11.2021 Mit einem 20:21 kommen die Germanen noch mal mit einem blauen Auge davon
von Alex Jodas
Damit hätte an diesem Tage hier keiner gerechnet. Die Krefelder „Favoriten“, wie sie von dem Moderator angekündigt wurden, hatten sich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Das war ein Arbeitssieg auf den letzten Drücker. Mit Hängen und Würgen hatten sie sich letztendlich noch zum Erfolg gezittert.
Das die Walheimer den Krefeldern Favoriten so gefährlich werden konnten, hatte wohl keiner auf dem Plan. Bis zum letzten Kampf führten die Gastgeber 21:17. Nur mit einem Schultersieg konnte Niklas van Berkum die Mannschaft noch zum Sieg führen.
Im Vorfeld gab es bereits Probleme für die Krefelder. Der Leichtgewichtler Abakar Mekhtiev war verletzt. Woher nun einen neuen nehmen? Zum Glück erklärte sich der jugendliche Leyan Can Colak bereit, es zu versuchen. Denn er ist für die 57 Kiloklasse viel zu leicht. Er wiegt gerade mal 49 Kilo.Er versuchte die Woche schon alles, um sein Gewicht hochzubekommen. Aber trotz intensiven futterns war Leyan noch am Sonntag gerade mal 50 Kilo schwer.
Wird er sich auf die erforderlichen 52 Kilo noch „hochsaufen“ können?
Dann auf der Autobahnfahrt erfahren wir die nächste Hiobsbotschaft: Unser Halbschwergewichtler Suleiman Alikhano hat verschlafen. Er musste in der Nacht zuvor in Schicht arbeiten. Zwei Stunden vor der Waage war er erst aufgewacht. Das war zu spät, um noch pünktlich aus Bielefeld einzutreffen. Verdammt, verdammt, wir waren mit dem Germanenkonvoi schon in Mönchengladbach. Uns musste schnell einen Alternative einfallen: Wir kehren um und holen unseren Griechisch Römisch Spezialisten Jure Cubelic ab.
Na, immerhin konnten wir somit die komplette Mannschaft stellen.
In dem Leichtgewichtskampf steht nun Leyan Can Colak von Krefeld gegen Atiquallah Goldad auf der Matte. Leyan hat den Kampf mit der Flasche im Vorfeld bereits gewonnen: Auf den Punkt genau 52 Kilo hat er sich hochgetrunken, Das ist ja schon mal was. Wird er auch gegen seinen erwachsenen Gegner bestehen können?
Es ist der erste Mannschaftskampf für den Krefelder, wir sind alle hochgespannt, zumal er noch vor einem Monat deutscher B- Jugend Meister geworden ist. Er beginnt recht nervös, greift an, als wenn es kein Morgen gäbe. Doch Goldad ist ihm körperlich überlegen und kann ihn übertragen.
Nach anderthalb Minuten steht es schon 6:1 für den Walheimer. Aber Leyan ist blitzschnell, nur er greift an. Und in der zweiten Minute kommt er gleich mehrfach durch mit seinen Beinangriffen, er kann Hintermann werden.
Bis zur Halbzeit liegt er drei Punkte zurück. In der Pause bekommt er Anweisung vom Trainer, was in der Technik zu verbessern ist. Und siehe da, jetzt punktet fast nur noch Colak. Fleißig wie ein chinesischer Schichtarbeiter holt er Punkt um Punkt. Er führt in der fünften Minute bereits mit sechs Punkten, er könnte den Sack jetzt zumachen. Macht er aber nicht, er greift weiter an, er ist hungrig. Er will jetzt mehr, er will dem Publikum was bieten. Das geht aber leider in die Hose, er gibt gleich zweimal zwei „Zweien“ ab, weil ihn der Walheimer jedes mal überträgt. Es wird noch richtig eng zum Ende des Kampfes, es ist unglaublich spannend. Der in großer Anzahl angereiste Fan Block hat schon ordentlich was anzufeuern. Der Krefelder kann aber seine Führung zum Glück bis zum Schluss halten. Er gewinnt 14:16 hochverdient.
Das war doch schon mal was, so kann es weitergehen. Zumal Nigel Weber einen viel leichteren Gegner hat als er selbst, fast 35 Kilo mehr hat der Krefelder gegen Vitali Stotskii auf den Rippen. Doch das Gewicht nicht alles ist, können wir an diesem Kampf schmerzhaft erkennen. Nigel schafft es nicht, einen einzigen Punkt zu erzielen. Der leichte Walheimer ist zu geschickt und zu schnell. Im Gegenteil, er zeiht einen Armschulterzug bei Nigel und kann auch bei einen Rumreißer Hintermann werden. So verliert Nigel deutlich mit 10:0 nach Punkten.
Wir sind geschockt, doch ein Beinbruch ist dies beileibe nicht, das sind immerhin zwei Punkte weniger als bei einer Schulterniederlage.
Ebenso schlecht weiter geht es in der 61 Kilo Klasse. Hier muss sich der Krefelder Abdul-Malik Magomadov sogar zweimal gegen Said Mehdi Asadi aus der gefährlichen Lage retten. Malik verliert 15:2. Immerhin, das sind zwei Punkte weniger als eine Schulterniederlage.
Im Halbschwergewicht kämpft der Krefelder Jure Cubelic gegen Martin Otto. Jure tut mir leid, er hat Pech, das er einen der stärksten Kämpfer der Liga vor sich hat. Otto ist fast 10 Kilo schwerer als Jure. Wir hatten überhaupt Glück, dass sich Jure für diesen Kampf zur Verfügung gestellt hatte, denn er lag krank in seinem Bett, als wir ihn heute überredet hatten, ihn als Ersatz für Suleiman Alikhano zu stellen.
Otto ringt von Anfang an ein hohes Tempo und geht dabei unangenehm unsportlich vor: Er knallt Jure rechts und links die Hände in den Nacken, um ihn aus dem Gleichgewicht zu schlagen.
Es sieht aus, als ob ein Schüler aus der Oberstufe ein Kind aus einer unteren Klasse auf dem Pausenhof vertrimmen wollte. Das schmutzige, ungerechte Spiel, das man so kennt. Aber welches sich keiner entgehen lassen will. Obwohl klar ist, wie es ausgehen wird. Alle sind froh, nicht das Opfer zu sein. Aber keiner will das verpassen.
Otto wird Hintermann und dreht Jure durch. Und noch einmal und noch einmal. Die Walheimer feiern jeden Durchdreher mit wilden Jubel. Jure droht unter die Räder zu kommen.
In der zweiten Minute kann Jure kurz seine Klasse zeigen: Er wirft Otto mit einer Suplex in die gefährliche Lage. Doch das tangiert Otto nicht sonderlich, er macht unbeeindruckt weiter mit seinem Vernichtungsprogramm. Noch in der ersten Halbzeit ist Schluss, Jure verliert technisch Unterlegen.
Es steht jetzt schon 10:1 für Walheim nach dem vierten Kampf. Mann, das wird eng heute, das hatte ich mir nicht so vorgestellt gegen den vorletzten der Oberligatabelle
Zwischendurch wird der Frauenkampf ausgetragen. Hier bekommen wir auf Walheimer Seite mit Nina Hemmer tatsächlich eine amtierende Vize-Weltmeisterin zu sehen. Da hat Lina Sue Odendahl für Krefeld natürlich keine Chance. In einer Minute macht es Nina mit einem Schultersieg klar. Besonders bin ich von der Brücke von Lina Sue beeindruckt. Die Krefelderin ist elastisch wie eine Schlangenfrau, das ist schon Varietéreif, was sie hier vorführt. Sie krümmt sich so stark, das ist keine Brücke mehr, das ist schon mehr ein Rad. Wegrollen könnte man sie von hier, so sehr steht ihr Körper unter Spannung. Wegrollen, wie bei einem Reifenwechsel, denke ich mir.
Für diesen Sieg gibt es auf beiden Seiten zwei Punkte, der Sieg war also letztendlich für die Katz. Letzte Woche noch hatte ich diese Regelung angeprangert. Doch was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, heute kann ich mich mit dieser Bestimmung gut arrangieren.
Vor der Pause kommt der 66 Kilo Kampf mit Mert Simsek auf Krefelder Seite gegen Sean Ullrich. Mert gefällt mir heute sehr gut. Er steigert sich von Woche zu Woche zusehends.
Der Krefelder setzt noch in der ersten Minute ein Gepäckträger an. Er muss hierfür sehr tief abtauchen, das sieht riskant aus. Doch der Griff wird schulmeisterlich ausgeführt, er kippt Ullrich auf den Rücken: Jetzt hat es Mert in der Hand, ihn zu schultern. „Mach es, Mach es !“, schreien wir ihm zu. Er ist brav und hört auf uns. Er macht es und schultert seinen Gegner. Die Krefelder Fans sind aus dem Häuschen, nach vier verlorenen Kämpfen gibt es endlich wieder richtig was zu jubeln. Das gefällt uns sehr sehr gut, das sind fette Fünf Punkte, heute wird noch jeder Punkt besonders wertvoll werden.
Es steht jetzt 12:8 für Walheim, das geht ja noch, sieht ja doch nicht so schlimm aus für Krefeld, da ist noch alles drin.
Nach der Pause geht es in der 86 Kilo-Klasse mit Tim Stoll für Krefeld gegen Marco Kreutz weiter. Tim Stoll macht seinen Job gut, sein Gegner ist Freistilspezialist und kämpft daher sehr tief. Das sieht passiv aus. So muss er auf den Boden. Hier macht Tim Stoll das, was ein guter Griechisch Römisch Mann machen muss: Er dreht ihn nach Belieben durch. Bis zur Pause steht es schon 1:7 für Stoll. Das sieht komfortabel aus, ich denke, bei diesem Kampf müssen wir uns keine Sorgen machen und freue mich schon insgeheim auf eine technische Überlegenheit.
Doch da habe ich mich geschnitten, es wird anders laufen. Denn nach der Halbzeit ist Stoll unkonzentriert und lässt einen Rumreißer zu. Nicht weiter schlimm, denke ich mir, denn am Boden wird ein Freistiler gegen ein Griechisch Römisch Spezialisten nicht viel ausrichten können. So sieht es Anfangs auch aus, Kreuz nestelt am Nacken von Stoll, er versucht den Nelson. Das ist ein Griff, den man eher aus dem Kinderbereich her kennt, weil er so einfach anzuwenden ist.
Kreuz arbeitet und rackert an dem Kopf von Stoll, ohne das irgendwas passiert. Und er bricht sich einen ab, es geschieht immer noch nichts. Das geht bestimmt eine halbe Minute so. Warum pfeift der Kampfrichter nicht ab? Wir rufen „Stand, Stand“, damit der Kampf im Stand weitergeführt wird. Interessiert den Kampfrichter aber nicht, er schaut weiter auf den Boden und wartet geduldig, das irgendwas passiert. Und dann geschieht es tatsächlich: Stoll wird auf den Rücken gehebelt. Jetzt steigt die Stimmung in der Halle explosionsartig an, jetzt wittern die Walheimer die Sensation. Ich kann gar nicht hinschauen. Dann höre ich es am Jubel des Publikums, Tim Stoll wurde geschultert! Nein, das darf nicht sein, das ist das Ende für uns an diesem Abend, jetzt können wir einpacken, das war es dann, Gute Nacht! Die Laune ist im Keller, es steht jetzt 17:8 für Walheim, das können wir doch unmöglich aufholen.
In der 71 Kilo kommt mit Jakub Marchlewski eine Bank für Krefeld gegen Fabian Schnell auf die Matte.Denn Jakub hat diese Saison noch keinen Kampf verloren, er ist in einer blendenden Form. Er macht es schnell in seinem Kampf, in der zweiten Minute hebt er seinen Gegner an der Hüfte aus, um ihn überzustürzen. Schnell wehrt ab und wendet sich den Armen von Marchlewski. Das macht Jakub nichts, er improvisiert und statt ihn hinten überzuwerfen setzte er seinen Gegner vorne auf den Rücken und schultert ihn! So einfach kann es gehen, das ist mir heute ganz recht.
Im folgenden 80 Kilo Kampf macht es auch Ben Haeffner für Krefeld gegen Marcel Graf schnell. In der vierten Minute gewinnt er die technische Überlegenheit. Wir können wieder hoffen, es steht jetzt 17:17 Unentschieden für die Mannschaften. Mann, ist das eine enge Kiste heute.
Im vorletzten Kampf kommt der Bruder Philipp Haeffner für Krefeld gegen Ibragim Veliyev technisch Unterlegen unter die Räder. Der Gegner von ihm ist ein ganz harter Brocken, er hatte jahrelang auch in der Bundesliga gerungen, da wussten wir, das es schwer wird für unseren Mann.
Erschüttert stehen wir auf der Tribüne , wir können es nicht fassen, und werden ganz blass. Jetzt führen die Walheimer 21:17.
Jetzt kann uns nur noch ein Schultersieg den Gewinn bringen. Wie soll Niklas das nur schaffen gegen Martin Otto, der auch ein erfahrener Ringer ist? Was für eine Verantwortung für den letzten Kämpfer Nikolai van Berkum.
Otto hat sicherlich auch die Hosen voll, die Erwartungen der Walheimer ruhen jetzt auf ihn. Er ringt sehr passiv, er will nichts riskieren. Nach einer Minute muss er auf den Boden. Und jetzt geht alles ganz schnell: Van Berkum hebt den Walheimer aus und stürzt ihn im hohen Bogen unsanft nach hinten.
Michael Otto fliegt senkrecht auf den Boden. Es sieht aus, als wenn er im Schwimmbad ein Kopfsprung machen würde. Kurzzeitig knallt die Schulter dabei platt auf die Matte. Der Kampfrichter sieht genau hin und pfeift ab: Schultersieg! Wir Krefelder können unser Glück nicht fassen, wir schreien den Frust der verloren Kämpfe und die Freude über den Mannschaftssieg in die Walheimer Halle.
Auf der anderen Seite sind die Walheimer geschockt, so kurz vor dem Mannschaftssieg fühlen sie sich um den Erfolg betrogen, sie kreiden es dem Kampfrichter an, dass er so schnell abgepfiffen hatte.
Je lauter die Krefelder ihre Freude heraus brüllen, desto lauter Buhen die Aachener. Es pendelt sich auf, die Emotionen kochen hoch. Es herrscht eine Atmosphäre zum zerschneiden, Prügel liegt in der Luft. Jetzt gibt es tumultartige Auseinandersetzungen, es wird immer lauter in der Halle. Hinter der Matten spielen sich Szenen ab, die befürchten lassen, das eine Massenschlägerei entbrennt.
Man kann es den Walheimern nicht verdenken, sie sind total gefrustet. Zum Glück gibt es genug Leute, die die Streitigkeiten im Mattenbereich schlichten können. Die Situation beruhigt sich.
Mann, Mann Mann, was für ein spannender Kampfabend.
Ein äußerst glücklicher Sieg für Krefeld, das muss ich unumwunden eingestehen. Ich bin heute Abend ein wenig demütiger geworden. Hut ab den Walheimern, sie haben fürwahr eine starke Leistung geboten Das war ein Kampf, den ich sicher noch eine Woche zu verdauen habe. Und am Samstag folgt mit Essen der nächste schwere Brocken. Mein Verdauungssystem kommt wohl nicht so schnell zur Ruhe.
Den Tabellenstand der Oberliga würde ich jetzt am liebsten konservieren, golden einrahmen und in die Vitrine stellen: Fünf Siege nach fünf Kampftagen, damit klar auf Platz eins. Wie gut das aussieht, ich kann mich gar nicht daran sattsehen.
Dieser Tabellenstand könnte aber bereits nächste Woche zur Makulatur werden. Denn da geht es in dem nächsten Heimkampf um alles bei der Begegnung gegen den direkten Verfolger Essen Dellwig. Die Ruhrstädter sind noch stinksauer über ihre Auftaktniederlage gegen Krefeld. Sie wollen sich bitterlich rächen für diese Schmach, sie werden alles an Kämpfern auffahren, koste es, was wolle. Wenn die Krefelder mit mehr als zwei Punkten Vorsprung geschlagen werden sollten, dann war es das mit der Tabellenführung. Und dann auch mit dem Einzug in das Finale gegen den Oberligameister Westfalen. Und mit dem gewünschten Aufstieg in die zweite Bundesliga. Ja, sie lesen richtig: Aufstieg! Das ist tatsächlich dieses Jahr ein Thema für Krefeld. Bisher habe ich diesen Begriff wohlweislich noch nicht ausgesprochen. Aber nach einer gesamten Hinrunde ohne Niederlage darf man diesen kühnen Gedanken wohl endlich einmal lautstark aussprechen. Die Krefelder klopfen unüberhörbar gegen die Tür der zweiten Bundesliga!
Nächsten Samstag wird es also drauf ankommen, dann ist Schluss mit der Spielerei, dann wird es ernst, dann kommt es darauf an, es geht ans Eingemachte. Es wird also etwas los sein in der Bude der Germanen. Lassen sie sich das nicht entgehen!