Nervenkrieg gegen Neuss

27.11.21: hauchdünner Sieg 22:21 Sieg von Germania Krefeld gegen Konkordia Neuss

von Alex Jodas

Da staunten die Krefelder nicht schlecht: gleich in drei Positionen hatten sich die Neusser im Gegensatz zum Hinkampf mit Leuten aus der ersten Mannschaft verstärkt. Jetzt war es allen klar, das Ding können wir kaum gewinnen, zumal der Hinkampf schon eng ausgegangen war. Doch was das Publikum dann zu sehen bekam war allererste Sahne, die Germanen wuchsen über sich hinaus.

Und während aller Orten Besinnlichkeit herrscht , Lametta hängt. Frieden und Stille eingekehrt ist. Die Schneeflocke in der Wolke nur darauf lauert, die Landschaft zu bepudern. Der Advent vor Tür steht, der Bauer die Ernte eingefahren hat. Die Natur ihr Wachstum eingestellt hat und zur Ruhe kommt, das Aschenbrödel wieder durch die Wohnzimmer huscht und sich den Prinzen schnappt wie seit vierzig Jahre schon. Nur bei den Germanen rappelt die Bude an der Steinstraße, da ist die Action. Hier ist Schluss mit der Gemütlichkeit und dem vorweihnachtlichen Beduseln. Hier herrscht das Gesetz des Stärkeren, für jeweils sechs Minuten. Nächstenliebe und Barmherzigkeit müssen noch bis zur Bescherung warten.

Und nun zu den Begegnungen im einzelnen. In der 57 Kiloklasse wird Abakar Mekhtiev noch in der ersten Minute geschultert.

Im Schwergewicht hat der Krefelder Suleiman Alikhanov mit Aleksander Kroczak gar den fünften der Kadetten-Weltmeisterschaften im Griechisch Römisch als Gegner! Zum Glück wird hier Freistil gekämpft. Und Suleiman scheint das nicht zu wissen, denn er ringt sehr respektlos mit ihm. Mit anderen Worten, er macht mit ihm, was er will. Gleich am Anfang noch hebt Suleiman seinen Gegner an beiden Beinen aus, er muss ihn nur noch werfen. Nur dann geht ihm die Luft aus, Kroczak ist fast 10 Kilo schwerer. Er schafft es nicht, den Neusser auf den Boden zu knallen, er stellt ihn brav wieder zurück auf seine Beine. Als wenn man einen fünften der Weltmeisterschaften nicht werfen dürfte.

Aber egal, noch in der ersten Minute macht Suleiman seine erste „Vier“, indem er Kroczak mit einer Beinschere unsanft auf die Matte befördert. Hier hat er sogar die Möglichkeit, zu schultern. Wir Krefelder haben schon mal was zu jubeln. Einen fünften Weltmeister zu schultern, das wäre schon was. Und wer weiß, ob es heute hier noch viel zu frohlocken gibt? Doch der Neusser kann sich raus retten, schade schade, das wäre es gewesen.

Auch in der zweiten Halbzeit macht Alikhanov weiter, wo er in der ersten Halbzeit aufgehört hat: Er setzt seinen Zerstörungsprogramm ungeniert fort, und schert sich weiter nicht drum, was für ein hochdekorierten Mann er vor sich stehen hat. Er kämpft wie entfesselt. In der vierten Minute schmettert er Kroczak wieder mit einem Beinfeger in die gefährliche Lage. Wir sehen den Gegner schon auf den Schultern, wir jubeln, was die Bronchien hergeben, doch der Kampfrichter sieht es nicht, leider, der Neusser hat wieder unglaublich Glück. Und gleich darauf fast wieder die selbe Situation, der fünfte der Weltmeisterschaften wird vorgeführt, wie ein Prügelknabe. Der Neusser liegt erneut platt auf dem Rücken. Und er hat erneutes Glück, dass der Schiri nicht wegen Schultersieg abpfeift.

Doch diese Kampfweise geht nicht spurlos an Suleiman vorbei. Er kann kaum mehr aufstehen, so erschöpft ist er. Der Kampfrichter duldet keine Verletzungspause, er ist hier nicht in vorweihnachtlicher Stimmung, ganz unbarmherzig scheucht er den Krefelder auf. Er hat gut reden, schließlich muss er nicht gegen den fünften der Weltmeisterschaften ringen.

Mit letzter Kraft kämpft Suleiman weiter. Und dann mobilisiert er die allerletzten Energiereserven, er macht die letzte „zwei“ des Kampfes, denn das waren die zwei Punkte, die noch zur technischen Überlegenheit fehlten. Das Publikum ist überglücklich mit diesem Sieg, damit hatten wir gar nicht gerechnet, vor allem auch noch in dieser Höhe. Ist heute etwa dennoch was drin für Krefeld?

Es sieht so aus, zumal der Krefelder Mert-Fatih Simsek gegen Negru Chiril einen vorzüglichen Kampf abliefert. Mert kämpft sehr sauberen Freistil, er greift blitzschnell die Beine an und erzielt mehrfach die Hintermann Position. Hier kann der Zuschauer sich entspannt zurücklehnen, denn Mert macht einen sicheren Job. In der ersten Minute noch dann schafft der Krefelder Fakten: Er nimmt den Neusser in die Zange, indem er den Kopf und ein Bein seines Gegners umschnürt. Das sieht Anfangs noch ganz unspektakulär aus, doch wir im Publikum wissen, das dies ein vorzüglicher Griff ist, um zu schultern. Und so bekomme ich gleich Schnappatmung bei dieser Aktion und fange an, vor Vorfreude zu brüllen. Jetzt wendet Mert seinen Gegner genüsslich langsam auf den Rücken, wie schön ist das denn, nun darf Mert nur nicht loslassen. Das macht er auch nicht, er ist ein alter ausgebuffter Profi, er macht alles richtig, Chiril wird auf die Schultern gerollt und gleichzeitig zusammengestaucht. Der Neusser hat keine Chance, abzuwehren. Der wunderschöne Schiedsrichterpfiff ertönt, das ist Engelsmusik in unseren Ohren, wir Zuschauer tanzen vor Freude, das sind fünf fette Punkte für die Mannschaft! Es steht 9:5 für die Krefelder nach drei Kämpfen, das sieht doch vorzüglich aus.

In dem anschließenden Frauenkampf hat Lina Sue Odendahl heute sogar mal eine Gegnerin. Mit Fabiana Giampa steht ihr eine Frau gegenüber, die über zehn Kilo schwerer ist als sie. Das wird eine schwere Aufgabe für die Krefelderin. Aber sie verkauft sich teuer. Und bei einer Aktion am Mattenrand schafft sie es sogar, ihre Gegnerin mit einem Kopfhüftzug in die gefährliche Lage zu befördern. Leider kann sich die Neusserin wieder raus winden. Letztendlich schafft es Lina Sue sogar, 4:3 nach Punkten zu gewinnen.

Im folgenden 98 Kilo Kampf zwischen dem Krefelder Jure Cubelic sieht es Anfangs gegen Dimitrios Demurtzidis sehr gut aus für die Gastgeber. Denn obwohl der Neusser ein sehr erfolgreicher Bundesligakämpfer ist, sieht Jure bis zur zweiten Minute stark aus. Er erhält sogar einen Punkt für seine aktivere Kampfweise, Demurtzidis muss auf den Boden. Hier riskiert Jure alles bei einem Durchdreher. Jure dreht, nur der Neusser dreht nicht mit. So liegt Cubelic auf dem Rücken, Demurtzidis zaudert nicht lange und schultert unseren Mann. Verdammt, verdammt, hier hatten wir mit einer Punkteniederlage gehofft, das sind jetzt fünf Punkte, die wir an Neuss abgeben. Das tut weh. Jetzt führt Neuss mit 11.12.

Als dann noch Abdul-Malik Magomadov für Krefeld in der 66 Kilo Klasse gegen Vladimir Mass deutlich nach Punkten 5:15 verliert, sehen wir langsam die Krefelder Felle wegschwimmen. Es steht jetzt 11:15 für Neuss zu der Pause, können wir das noch aufholen, zumal wir in der zweiten Halbzeit noch einen Ausfall haben werden.

Nach der Pause tritt in der 86 Kilo Klasse unser bärenstarker Kämpfer Ben Haeffner gegen Erich Marjalke an. Hier kommen bei mir nostalgische Gefühle hoch. Denn mit Marjalke hatte ich vor dreißig Jahren in Neuss trainiert. Er dürfte so um die 54 Jahr alt sein, er war einer der stärksten Bundesligakämpfer in jener Zeit.

Und er hält sich erstaunlich gut in der ersten Halbzeit. Er greift sogar gefährlich die Beine von Haeffner an. Der Krefelder muss alle seine Energie einsetzen, um abwehren zu können. In der ersten Halbzeit ist es noch ein Kampf auf Augenhöhe, Ben kann mit 3:0 in knapp Führung gehen. Doch die Zeit spielt für Haeffner, bis zur fünften Minute erringt er die technische Überlegenheit.

Ich bin erstaunt über die enorme Fitness des Neussers, er hat hier ein würdevolles Bild abgegeben und den Neussern tatsächlich noch einen Punkt gerettet.

Es steht jetzt 15:15 im Mannschaftsergebnis, sie sehen selbst, was für ein knapper und spannender Mannschaftsvergleich das hier und heute ist. Wir knabbern an den Nägeln und raufen unsere Haare, es knistert nur so vor Spannung.

Die folgende 71Kilo Begegnung ist ein Schlüsselkampf, hier muss Jakub Marchlewski von Krefeld gegen Anatolij Efremov punkten, sonst sieht es zappenduster aus für Krefeld. Hier sieht es auch nicht schlecht aus am Anfang , Jakub kann in der zweiten Minute mit einem Beinangriff in Führung gehen. Und Efremov ist für seine schlechte Kondition bekannt, wird er in der zweiten Halbzeit einbrechen? Tut er leider nicht, im Gegenteil, er überrascht uns und Jakub mit seiner guten Form und kann sogar noch einen knappen 2:4 Sieg einfahren. Nach der Niederlage liegt der Krefelder niedergeschlagen auf den Boden, er hat vor Frust keine Lust, mehr hochzukommen. Jetzt fasst ihn Efremov kameradschaftlich an die Schultern und hilft ihm hoch, er möchte ihn trösten. Eine nette Geste des Neussers, menschlich und mitfühlend. Er ist mir sofort sympathisch, auch wenn ich ihn nicht kenne.

Verdammt, diese Niederlage hatten wir nicht so auf dem Plan. Denn wir wissen, das in der kommenden 80 Kilo Klasse Ayoub Bolakhrif von Krefeld gegen Riccardo Vito Abbrescia aufgeben wird. Ayoub musste für Tim Stoll einspringen, der heute verhindert ist. Ayoub ist verletzt und gegen den starken Bundesligaringer von Neuss möchte er seine Gesundheit nicht auf Spiel setzen.

Es steht jetzt 15:21 für Neuss. Das war es dann für uns zwei Kämpfe vor Schluss, das können wir nicht aufholen, denn da kommen noch zwei weitere Granaten auf Neusser Seite, die sechs Punkte Vorsprung holen wir nicht mehr auf!

Im 75 Griechisch Römisch haben die Neusser mit Ardalan Karsiri einen Kämpfer aus dem Hut gezaubert, der bisher noch nicht eingesetzt wurde. Keiner kennt ihn hier, er ist ein unbeschriebenes Blatt für uns. Aber an den blühenden Blumenkohlohren und an dem zähen Körper kann man schon erahnen, da erwartet uns nichts gutes. Ich schauen heute bei Googel nach, und siehe da: Er ist ein alter Bundesligaveteran, der bei Aachen Walheim zu Bundesligazeiten in der ersten Mannschaft gekämpft hatte. Daher hat es Nikolai van Berkum, der bisher alle seine Kämpfe gewonnen hatte, gegen diesen starken Gegner sehr schwer. Wird er heute in Karsiri seinen Meister finden?

Wir sehen einen beinharten Kampf. Karsiri verhindert, wo er nur kann, er greift Handgelenke, kämpft aus der Außenarmklammer. Das einzige, was passiert, es fallen Verwarnungspunkte für van Berkum.

Der Neusser muss auf den Boden. Doch Nikolai schafft es weder, ihn auszuheben, noch ihn durchzudrehen. Die Abwehr von dem Neusser ist einfach zu stark. Bis zur fünften Minute geht es so zäh weiter, es passiert nichts, die beiden Kämpfer sind einfach zu gleichwertig. Das recht nicht für Krefeld, eine knapper Punktesieg wird nicht genug sein, das Nägelknabbern geht weiter.

Dann wird Nikolai auch noch auf den Boden geschickt. Das können wir hier gar nicht gebrauchen, das war es nun für Krefeld, denke ich mir, da ist nichts mehr drin. Karsiri versucht, Nikolai durchzudrehen. Doch Nikolai lässt sich nichts gefallen, er hat eine stählerne Verteidigung. So rutscht Karsiri bei dem versuchten Durchdreher auf die Seite. Van Berkum ist hellwach und springt über. Mit dem Arm als Hebel kann er seinen Gegner auf den Rücken wenden. Jetzt liegt die Sensation in der Luft, alle Krefelder rennen zu der Matte, um das ganz genau zu sehen und brüllen auf vor Freude. Ardalan Karsiri versucht alles, sich aus dem Schraubstockgriff von van Berkum zu retten, er versucht, sich aus der Zone zu retten. Doch Nikolai zieht ihn wieder rein. Der Neusser biegt seinen Rücken wunderschön rund zu einer hohen Brücke. Nikolai van Berkum aber zieht an dem Kopf und hebelt die Brücke flach. Es ist ein hin und her Gezerre. Man kann sein eigenes Wort nicht verstehen, denn gerade steht die Halle Kopf. Dann geht bei Karsiri die Luft raus, wie bei einer Luftmatratze, bei der man den Stöpsel zieht, Schultersieg! Die Krefelder taumeln vor Freude und liegen sich in den Armen, es steht jetzt tatsächlich nur noch 20:21 für Neuss. Da ist vor dem letzten Kampf noch alles drin, auch wenn die Neusser mit Olimjon Kholikov noch einen ausgezeichneten Kämpfer aufbieten können. Wird unser Philipp Haeffner das hier heute schaffen?

Er muss mit drei Punkten Unterschied gewinnen, das wären dann zwei Punkte für die Mannschaft, das würde genau reichen. Ist aber leichter gesagt als getan, weil sein Gegner, wie schon erwähnt, ein vorzüglicher Ringer ist, der bisher alles gewonnen hat in der Liga bis auf den Hinkampf gegen Nikolai van Berkum, gegen der er knapp nach Punkten verlor.

Wir sehen hier einen Kampf auf Augenhöhe. Das die Halle jetzt kocht wie eine Fritteuse kann man sich unschwer vorstellen. Vor allem, weil Philipp die ersten zwei Punkte bei einem Beinangriff einfährt. Zur Pause steht es 4:1 für Philipp. Der Kampf ist aber noch nicht in trockenen Tüchern, Kholikov hält gegen, er macht wiederum zwei zweier Wertungen, jetzt führt der Neusser 4:5. Wir feuern an, was das Zeug hält, auf der Steinstraße tobt der Bär. Philipp holt in der letzten Minute auf. Wir können sensationelle Abwehren von ihm jetzt sehen, der Neusser greift an, Philipp schert mit seinem Bein und die beiden drehen eine Rad, bei dem Kholikov senkrecht hernieder stürzt. Es sieht wunderschön und spektakulär aus was man hier sieht, doch die Krefelder wollen Punkte und zwar genau noch zwei. Die fehlen nur noch zu Glück und noch zum Sieg der Mannschaft. Die Zuschauer brüllen, was ihre Lungen hergeben, als wenn das die Punkte herbeiführen würde. Und als ob Philipp der Dramaturgie dieses Krimis gerecht zu werden, holt Haeffner zwei Sekunden vor Schluss noch die beiden ersehnten Punkte zur 9:5 Führung! Das ist eine Punktelandung sozusagen, ich schreie meine Freude in die FFP 2 Maske hinein, das sie sich aufbläht wie ein Ballon. Ist das ein geiler Abschluss des Abends So kann es die weiteren Kämpfe meinetwegen weitergehen.

Doch es sieht schlecht aus für die verbleibende Mannschaftssaison. Wird es die Corona Situation zulassen, weiterzukämpfen? Die Barockengel flöten es bereits von den Dächern, nächste Woche scheint die Begegnung gegen den holländischen Gegner in Landgraaf wegen der hohen Inzidenz Zahl auszufallen. Natürlich, die Gesundheit ist das wichtigste.