Krefeld verliert seinen Kampf trotz Sieg!

13.11.2021: Krefeld ist gegen Essen Dellwig mit 13:16 äußerst knapp unterlegen

von Alex Jodas

Sie lesen recht, die Germanen haben an diesem denkwürdigen Tag dennoch irgendwie gewonnen. In den Listen ist der Sieg natürlich unanfechtbar, das will ich gar nicht anzweifeln, ich will ja keine Fakten leugnen. Nein, moralisch haben die Krefelder letztendlich gewonnen, denn sie haben den übermächtigen Gegner böse ärgern können. Der Gegner hatte speziell für diesen Abend alles an Kämpfern angekarrt, was das Portemonnaie des spendablen Sponsors hergab. So wurden alleine drei Nationalathleten nur für diesen einen Krefelder Kampf aus der Türkei eingeflogen. Sie wollten am diesem Abend nichts dem Zufall überlassen. In dem Hinkampf hatten die Essener nämlich ähnlich knapp mit nur zwei Punkten Vorsprung verloren. Ein Affront, den die Ruhrstädter wohl nicht auf sich sitzen lassen wollten. Die nass geweinten Kopfkissen sind in Essen inzwischen wieder getrocknet, die Tränen sind längst die Ruhr hernieder geflossen. Heute wollten die Essener Köpfe rollen sehen, die Rache sollte schrecklich werden. So waren sie waren mit unglaublich vielen Fans angereist, so viel, alle wollten das Gemetzel mit ansehen. Leider mussten wegen der Corona-Beschränkungen etliche Fans abgewiesen werden.

Der Kampfabend war auch deshalb besonders brisant, weil der Sieg die Führung der Tabelle bedeutet. Und somit die Möglichkeit zum Einzug in das Oberligafinale offen hält. Und als Folge dessen den Aufstieg in die zweite Bundesliga.

Einige in der Krefelder Mannschaft, vor allem aus den unteren Gewichtsklassen, mussten erheblich Gewicht machen. Mager sahen sie aus und ausgemergelt. Hungrige Augen schauten tief aus ihren Höhlen. Und während die anderen um sie herum vorweihnachtlich schlemmen durften, mussten diese armen Kreaturen in gähnend leere Teller blicken.

So, genug gelabert, jetzt geht es zu den Kämpfen:

In 57 Kilo steht für Krefeld Abdul-Malik Magomadov gegen Matin Sakhi auf der Matte. Der Essener hatte bisher alle seine Kämpfe gewonnen, die meisten auf Schulter. Wir sind also gewarnt. Doch Malik kämpft respektlos gegen Sakhi, es ist ein Kampf auf Augenhöhe. Der Essener muss in der vierten Minute wegen Passivität auf den Boden. Hier hebt ihn Malik aus und kann ihn mit letzter Kraft überstürzen. Das sieht sehr riskant aus, er geht fast selber in die gefährliche Lage. Geht aber noch gerade gut. Malik hat Körner lassen müssen, weil auch er einige Kilo Gewicht machen musste. Aber dennoch rotiert er gleich darauf noch einen Durchdreher. Jetzt führt Malik sogar 7:2, das Publikum ist verzückt vor Freude und feuert frenetisch an. Aber Sakhi steckt nicht auf, er kann einen Überstürzer bei Malik ziehen. Malik führt nur noch 7:6, das ist ein ganz enges Ding hier schon im ersten Kampf, das ist unheimlich spannend, ich kann nicht hingucken aus Angst, als Malik fast geschultert wird. Zum Glück ist die Aktin in der Zone, er kann sich raus retten. Am Ende des Kampfes greift der Essener Malik um die Hüfte. Er will ein Überstürzer ziehen. Doch Malik klammert ihn ab und zieht seinerseits eine astreine Suplex. Der Essener landet in der gefährlichen Lage. Eine Aktion, die eindeutig von Malik ausgegangen ist. Doch der Kampfrichter gibt Sakhi vier Punkte für was auch immer und Malik nur zwei. Es steht zum Ende des Kampfes 10:10 Unentschieden, und weil der Essener mehr Vierer Wertungen aufzuweisen hatte, verliert Malik seinen Kampf. Hier hatte der Kampfrichter durch seine Fehlentscheidung dem Krefelder seinen Sieg genommen.

Das war schon mal nicht schlecht, das Leichtgewicht war bisher eine Achillesverse der Mannschaft, da hatten wir fast immer fünf Punkte abgegeben. Auch wenn dieser Kampf in meinen Augen eigentlich ein Sieg gewesen sein müsste.

Nun sehen wir im Schwergewicht zum ersten Mal Suleiman Alikhanov. Sein Gegner Mirac Gümüs ist einer der Spitzenathleten aus der Türkei, die eingeflogen wurden. Suleiman sieht gegen den fünften der Türkischen Meisterschaften anfangs gut aus. Er kann ihn bedrängen, der Essener muss die Matte verlassen, Suleiman macht einen Punkt. Gümüs fasst den Krefelder im Zwiegriff. Das gefällt Suleiman gar nicht, er fühlt sich sichtbar unwohl in diesem Griff. Kann sich aber auch nicht befreien. Und dann kommt er, vorhersehbar und mit Ansage, die Schleuder von Gümüs. Suleiman wird fast geschultert, kann sich aber noch raus retten. Puh, was für ein Krimi, das sind vier Punkte für Essen, wir sind geschockt.

In der zweiten Halbzeit kann Suleiman einen Beinangriff des Esseners kontern: Das gibt saftige vier Punkte, wir Krefelder haben was zu jubeln. Doch der Essener setzt wieder seinen Zwiegriff an.Und obwohl Suleiman gewarnt sein müsste, kann Gümüs wieder seine Schleuder ziehen. Suleiman holt zwar noch weiter vier Punkte auf, verliert aber seinen Kampf 9:10 denkbar knapp nach Punkten.

Schon deutlicher verliert auch Mert-Fatih Simsek für Krefeld gegen Alim Adzhiev nach Punkten 6:15. Er hat immerhin die Schulterniederlage verhindert, die wir im Hinkampf in dieser Gewichtsklasse zu verzeichnen hatten. Es steht jetzt 0:5 für Essen.

Im Frauenkampf verliert die Krefelderin Lina Sue Odendahl gegen Norah Elisabeth Röttgen 0:9 nach Punkten.

Im Halbschwergewicht 98 Kilo hat Jure Cubelic mit Björn Holk einen schweren Gegner:

Sein Name versetzt einen allein Angst und Schrecken. Hochdekoriert ist er mit nationalen und internationalen Titeln. Er ist inzwischen schon 40 Jahre alt. Aber er verweigert hartnäckig den Alterungsprozess. Ähnlich wie Adam Juretzko der noch einmal zehn Jahre älter ist und tatsächlich bis heute in der ersten Liga kämpft. Die beiden setzen die Naturgesetze außer Kraft. Statt sich nette Hobbys zu suchen wie Briefmarkensammeln oder Modelleisenbahnen im Keller aufzubauen. Also ein normales würdevolles Altern, wie es sich für in die Jahre gekommene Herren gebührt. Nein, sie machen trotzig weiter wie immer und verprügeln junge Leute auf der Matte, die ihre Kinder seien könnten. Ja geht es noch? Ja, es geht noch! Das ist unglaublich cool, das würde ich gerne auch können!

Jure verliert technisch unterlegen in der fünften Minute. Jetzt hat Krefeld bereits fünf Kämpfe verloren, es steht 2:11 für Essen. Das ist aber noch keine hoffnungslose Situation, im Gegenteil, die Krefelder Fans sind weiterhin hochmotiviert und brüllen ihre Jungs zu Höchstleistungen an. Die Kämpfe wurden zum Glück meist knapp verloren, es ist also noch immer alles drin. In der 66 Kiloklasse kocht bei dem Kampf zwischen Amer Bolakhrif für Krefeld gegen Pietro Sabatino die Halle. Denn hier fängt Amer gleich formidabel an. Der Essener möchte ihn am Mattenrand raus schieben. Amer nutzt den Druck des Esseners und zieht einen Armschulterzug: Sabatino knallt auf den Rücken, das gibt dralle vier Punkte für Amer, die Krefelder Fans schreien sich die Seele aus dem Leib vor Freude.

In der zweiten Minute muss der Essener auf den Boden. Jetzt schon freuen sich die Krefelder auf das, was dann folgen mag. Denn wenn ein Bolakhrif was kann, dann ist es der Bodenkampf. Vor allem die Ausheber haben es ihm angetan.

Nun angelt Amer Sabatinos Hüfte, der sich schwer macht wie ein Nilpferd. Doch es nützt ihm nichts, Armer hebt ihn eine Etage höher. Jetzt zappelt er hilflos in den Armen des Krefelders. Wir Publikum machen schon Ohhh und Ahh, in Erwartung dessen, was gleich mit Sabatino passieren wird: Und schon fliegt er so schön rund und steil durch die Krefelder Luft, das es nur so eine Freude ist. Fünf gesalzene Punkte sind das, der Fan Block feiert, als hätte Krefeld somit schon gewonnen. Hat Krefeld natürlich nicht, aber dieser Kampf geht an Bolakhrif, er siegt 13:7 nach Punkten.

Es steht zur Pause 4:11 für Essen. Das sieht schlecht aus für Krefeld. Aber immer noch nicht hoffnungslos.

Nach der Pause tritt in der 86 Kilo Klasse Ben Haeffner für Krefeld gegen Halil Ibrahim Sarikaya an. Sarikaya ist auch einer von den eingeflogenen Spitzenringern aus der Türkei, er ist dritter der türkischer Meister. Doch Ben Haeffner ist in blendender Form, er ist jung, er ist hungrig, er ist mit seiner jetzigen Qualität kaum zu besiegen.

Wir sehen einen Kampf auf Augenhöhe. Erst führt der Essener durch zwei Beinangriffe, dann der Krefelder. Das heißt, es steht bis zur letzten Minute 4:4, doch da der Krefelder die letzten Punkte geholt hatte, führt er bis zu diesem Zeitpunkt. Ben ringt sehr diszipliniert, er kämpft heute nicht seine kraftverzehrenden Dauerangriffe. Es scheint sich zu lohnen, es spricht einiges dafür, das er den Sieg einfährt. Doch buchstäblich in der letzten Sekunde holt Sarikaya mit einem Beinangriff noch eine „Zwei“. Ben schafft es zwar noch, ihn zu übertragen. Doch der Kampf ist bereits abgepfiffen, die Punkte zählen nicht. So wird Haeffner noch auf den allerletzten Metern abgefangen. Es ärgert sich hier vor allem Ben Haeffner selbst über diese so unglückliche Niederlage, er schlägt frustriert auf die Matte ein. Ich kann es ihm nicht verdenken, das ist so schade, er war so nahe dran an dem Sieg.

Aber das tut der Stimmung keinen Abbruch, das Publikum ist verzückt über diesen vorzüglichen Kampf und applaudiert über diese Leistung. Es steht nun 4:12 für Essen, die Lage wird immer hoffnungsloser für Krefeld, die Schlinge zieht sich zu.

In der 71 Kilo Klasse sehe ich Jakub Marchlewski zum ersten mal im freien Stil kämpfen. Er muss gegen Amir Adzhiev kämpfen. Jakub ist Griechisch Römisch Spezialist. Aber er war zwei Jahre lang auf Abwegen und hat MMA-Kampfsport ausgeübt. Das scheint seiner Freistiltechnik förderlich gewesen zu sein. Denn man kann in diesem Kampf erkennen, dass Jakub ganz genau weiß, was er hier tut. Anfangs führt der Essener, er erzielt Punkte bei Beinangriffen. Doch Jakub kann auch Beine angreifen, das ist nicht dem Freistilspezialisten vorbehalten, wer sagt denn, das ein Griechisch Römisch Kämpfer dass nicht darf? Zur Pause steht es 4:3 für den Essener, es scheint hier also auch eine hauchdünne, knappe Angelegenheit zu werden.

In der vierten Minute versucht es Adzhiev mit einem Beinangriff. Doch hier erteilt der Krefelder dem Essener eine Freistil Lektion: Man darf nie den Kopf zu nahe ans Bein stellen! Denn diese Körperteile packt sich nun Jakub Marchlewski und umschlingt sie zu einem Gebinde. Nun steht es plötzlich schlecht für den Essener.

Ich kann es gar nicht glauben, was meine Augen da sehen, wache ich oder träume ich etwa? Das ist die Chance für Jakub, seinen Gegner zu schultern, er darf ihn da auf keinen Fall raus lassen. Ich hoffe, das weiß auch Jakub. Aber er macht alles wie ein Profi, er dreht seinen Gegner auf den Rücken. Und sie können sich sicher vorstellen, was nun los ist in der Halle. Die Leute haben die Sensation vor Augen, sie schreien nun, als wenn es kein Morgen gäbe. Alles sieht nach Schultersieg aus! Und das noch gegen einen Mann, der bisher eine lupenreine Kampfbilanz aufzuweisen hatte, er hat alle seine Kämpfe gewonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt. Auch wenn Adzhiev zappelt und sich windet, er kommt da nicht raus. Der „Todeskampf“ dauert gefühlt eine Ewigkeit. Der Kampfrichter lässt sich alle Zeit der Welt, er schaut von hier und schaut er von dort, dann muss er sich endlich eingestehen: Schultersieg! Jetzt kocht die Halle wie ein Hochofen im Pott, jetzt sind alle glücklich und toben vor Freude, zumindest auf Krefelder Seite, die Essener werden plötzlich ganz leise. Na klar, das hatten sie nicht auf der Rechnung.

Jetzt steht es nur noch 9:12 für Essen, da ist jetzt doch noch alles drin für Krefeld, es keimt Hoffnung auf. Und ich bin sicher, die Essener haben jetzt auch leichte Zweifel, ob sie ihren so klar geglaubten Sieg in der Tasche haben.

Auch, weil in der 80 Kilo Klasse zugleich ein Kampf folgt, bei der der Krefelder Tim Stoll der hohe Favorit ist.

Stoll ist überlegen. Aber er kämpft zu zaghaft, er ist nicht in bester Form im Augenblick. Er gewinnt zwar den Kampf gegen Dimitri Wegner knapp 4:2 nach Punkten. Doch da wäre mehr drin gewesen für den Neu-Krefelder. Es steht jetzt 10:12 für Essen.

Im 75 Kilo Griechisch Römisch Kampf bekommt Nikolai van Berkum den Freistil Spezialisten Alexander Storck aus Essen als Gegner zugewiesen.

Nikolai hat bisher noch keinen Kampf verloren, er ist der sicherste Kämpfer von Krefeld, auf ihn kann man sich verlassen. Doch er muss heute möglichst viel Punkte bringen, sonst wird es am Ende nicht reichen. Nikolai gibt sich redlich Mühe. Doch Strock ist ein ausgebuffter Profi, im Stand kommt der Krefelder gegen ihn nicht an. Dann geht es runter auf den Boden. Hier nimmt Storck den Oberkörper hoch und verschließt seine Flanken mit Arm und Beinen. Das ist nicht zulässig im Griechisch Römisch Bodenkampf. Doch das scheint der Kampfrichter nicht zu wissen, er geht nicht dagegen vor. So schafft es van Berkum erst nicht, ihn auszuheben. Für einen Durchdreher reicht es aber alle Male.

Der Kampf bleibt weiter recht unansehnlich, Storck mauert und Nikolai findet keine Mittel gegen ihn im Stand. Aber am Boden kann der Neu Krefelder punkten, letztendlich gewinnt er deutlich 12:4 nach Punkten. Da hatten wir uns insgeheim mehr erhofft, doch Storck hatte gut verteidigt, das hätte ich dem Freistil Spezialisten nicht zugetraut.

Jetzt führen die Krefelder zum ersten mal tatsächlich 13:12 hauchdünn nach Punkten vor dem letzten Kampf! Auch eine 13:14 Niederlage würde uns zur Tabellenspitze reichen, denn Krefeld hatte beim Hinkampf mit zwei Punkten gegen Essen gewonnen.

Aber das dieser Vorsprung wohl nicht reichen wird, ist uns schon bewusst. Denn wir wissen, auf wen Phillipp Haeffner als Gegner wartet: Cavit Acar, amtierender türkischer Meister und dritter der Kadetten Weltmeisterschaft.

In der ersten Halbzeit kämpft Philipp wie entfesselt auf Augenhöhe. Er liegt zwar bis zu Pause ganz knapp 0:3 zurück. Aber das sieht ausgeglichen aus, ist da vielleicht doch noch was zu holen?

Ein Fünkchen Resthoffnung keimt in einem. Der große Überraschungsgriff von Philipp oder ein Schwächeanfall des Gegners. Herr, lasse den Gegner einfach auf die Schultern fallen! Was auch immer, jedes Pünktchen wird hier heute gebraucht.

Doch Ringen ist und bleibt einfach nur Physik. Die mathematischen Gesetze von Hebelkräften und Technik wirken hier.

Es kommt leider nicht so, Acar fällt nicht auf die Schultern. Letzten Endes verliert Philipp technisch unterlegen.

Das war es für Krefeld heute, der Mannschaftskampf ist verloren. Der Sieg von Essen geht in Ordnung, sie haben zwar ein wenig glücklich gewonnen, aber das ist ok. Schließlich hatte Krefeld im Hinkampf gegen Essen und gegen Aachen auch mit sehr viel Glück gewinnen können. Das ist ausgleichende Gerechtigkeit, statistisch ausgewogen sozusagen. So gratuliere ich Essen zu dem Sieg und zu dem ersten Platz. Das war heute ein Sieg und eine vorzügliche Werbung für das Ringen, alle Zuschauer waren heute geflasht, das hatte heute schon Zweitliganiveau, was dem Publikum hier geboten wurde. Das ist eine Niederlage, die sich anfühlt wie ein Sieg.